The Köln Concert

Text zur Ausstellung

Mit seiner Installation „The Köln Concert“ delokalisiert Uwe Schinn eine Gruppe von Theaterlogen des von Wilhelm Riphahn in den späten 50ern erbauten Kölner Opernhauses auf die Galerie des Zentrums Kreuzberg. Ihnen beigesellt sind Fotografien, auf denen Schinn typische Gesten des Jazz-Musikers Keith Jarrett imitiert, der seine Konzerte stets als Auftritte eines hoch sensiblen Künstler-Genies inszeniert und der wegen einfacher Huster im Publikum Auftritte zu unterbrechen gewillt ist und seine Konzerte durch Mitsingen von Melodiebögen, durch Stöhnen in schwierigen Passagen sowie durch gelegentliches Aufstehen am Klavier zu regelrechten Performances ausbaut.

Durch die Hintertür des crazy-seins, der Inszenierung „de large“ und der Verweigerung von Theorie wurde in den vergangenen Jahren ein Bild vom genialen Künstler zurück auf die Bühne gezerrt, dessen sich ein großer Teil der international erfolgreichsten künstlerischen Positionen bedient. Diesen Künstler-Genies haftet stets etwas Psychopathologisches an. Die Liste der Symptome simulierter Genialität fängt bei der Regression auf kindliche Verhaltensmuster an und endet beim Ableben infolge exzessiven Lebens. Das gesellschaftliche Bedürfnis nach Genie hat seine Ursache in der Entmachtung der Kunst selbst: Indem diese keinerlei gesellschaftliche Relevanz mehr hat, verschwinden auch die Diskurse über Kunst. An die Stelle von Unterscheidungskriterien rückt die Provenienz der Arbeiten. Selbstverständlich wird über den Galeristen, über die Architektur des Galerieraums, über weitere Bauten dieses Architekten und selbst über den Architekten, der das Lokal entworfen hat, in dem der Galerist neulich seinen Geburtstag feierte, in vielen Zusammenhängen mehr gesprochen als über die Arbeiten der durch die Galerie vertretenen Künstlers.

Wo das Genie am Werk ist, rücken stets die Begleitumstände in den Vordergrund. Jarrett, der in den 70ern mit einer Reihe von Improvisationskonzerten zu Weltruhm gelangte, die er vermeintlich oder tatsächlich ohne ein vorher vorhandenes Konzept frei aus sich selbst heraus entwickelte, präsentiert sich als Künstlergenie par exellence, das die totale Aufmerksamkeit des Zuhörers auf die noch ungeschriebenen Spielregeln des improvisierenden Künstlers einfordert, die sich erst beim Zuhören erschließen oder die sich – eben auch im Moment des Zuhörens – als Kitsch erweisen. Dabei aber fällt mehr oder weniger alles, was das Interesse an Kunst im 20. Jahrhundert einmal ausmachte, sei es die Reflexion auf gesellschaftliche oder politische Verhältnisse oder sei es die Dekonstruktion von Ideen in der Kunst selbst, unter den Konzertflügel.

Der drift vom Künstler zum Genie steht auf der Seite der Rezeption, der shift vom einfachen Besucher zum VIP und der lift vom Sperrsitz auf die Loge gegenüber. Anders als Hans Scharouns Berliner Philharmonie. die ein vollkommen demokratisches Raumkonzept vorstellt, in dem für jeden Zuhörer zumindest akustisch gleiche Bedingungen herrschen, erinnert der vom Kölner Architekten Wilhelm Riphahn zu gleicher Zeit konzipierte Kölner Opernbau bereits in seiner äußeren Silhouette an  einen babylonischen oder ägyptischen Tempel, der im Saal dominiert ist von einer Phalanx von Logen. In ihnen, die von der Funktion her Ränge sind, aktualisiert sich ein letztes Mal die Exklusivität und Privatheit am öffentlichen Ort des Theaters. Nicht nur ermöglicht es die Loge, in der vertikalen Gliederung des Raumes einen auch symbolisch zu verstehenden „höheren Rang“ einzunehmen – vis-a-vis zur Bühne und hoch über den Köpfen des Publikums ist die Loge der einzige Ort, an dem sich die Seele nicht erst durch Kunstgenuss erheben muss, weil sie sich per se schon weiter oben befindet. Bezeichnenderweise wurden die Ränge der Kölner Oper (die Riphahn selbst als Logen bezeichnete), so konzipiert, dass sie an herab rasende Schlitten erinnern, die sich in Uwe Schinns Installation auf eine Schussfahrt begeben, die direkt auf die verzerrten Gesten seiner nachempfunden genialen Selbstinszenierung zu rasen.

Autor: Kai Hoelzner

Zur Ausstellung „The Köln Concert“, Galerie Kai Hoelzner